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Die EU-Whistleblower-Richtlinie – Handlungsbedarf auch für Schweizer Unternehmen?

Olivier Künzler
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Am 16. Dezember 2019 ist die EU-Richtlinie 2019/1937 zum Schutz von Personen, die Verstösse gegen EU-Vorschriften melden («Whistleblower-Richtlinie»), in Kraft getreten. Die Whistleblower-Richtlinie bezweckt, die Aufdeckung von Verstössen gegen EU-Recht zu erleichtern und für die gesamte EU ein einheitliches, hohes Schutzniveau für Whistleblower zu gewährleisten. Sie hat weitreichende Konsequenzen und ist auch für Schweizer Unternehmen mit Präsenz im EU-Raum relevant.
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Anwendungsbereich

Die Whistleblower-Richtlinie gilt für alle Unternehmen des privaten Sektors in der EU mit mindestens 50 Angestellten, für Finanzunternehmen und für Einrichtungen der öffentlichen Hand. Anwendbar ist sie auch auf Whistleblower, welche zwar nicht an einem EU-Standort des Unternehmens angestellt sind, der gemeldete Missstand aber einen solchen betrifft.

Die betroffenen Unternehmen sind verpflichtet, sichere Hinweisgeberkanäle und klare Meldeprozesse einzurichten sowie Massnahmen zum Schutz von Whistleblowern zu ergreifen. Generell ist die Richtlinie nur auf Verstösse gegen EU-Recht (inklusive den jeweiligen nationalen Umsetzungsgesetzen), wie beispielsweise das EU-Kartellrecht oder die europäische Datenschutzverordnung (DSGVO), anwendbar. Viele Mitgliedstaaten werden die Vorgaben der Richtlinie jedoch zusätzlich für Verstösse gegen (reines) nationales Recht für anwendbar erklären bzw. haben dies bereits getan.

 

Die wichtigsten Eckpunkte der EU-Whistleblower-Richtlinie im Überblick

Die Richtlinie stellt detaillierte, zwingende Anforderungen für die Behandlung von Meldungen zu Compliance-Verstössen und den Umgang mit Whistleblowern auf. Die Unternehmen, auf welche die Richtlinie anwendbar ist, müssen sich dabei im Wesentlichen auf folgende Punkte einstellen:

  • Pflicht zur Einrichtung eines (internen) Meldesystems: Das System muss nicht nur den Mitarbeitenden des eigenen Unternehmens, sondern auch externen Personen wie unabhängigen Beratern, Praktikanten, Stellenbewerbern, Aktionären sowie den Mitarbeitenden und Hilfspersonen von Lieferanten und Sub-Unternehmen offenstehen.
  • Detaillierte Vorgaben zur Ausgestaltung des Meldesystems: Whistleblower müssen die Möglichkeit haben, Hinweise in verschiedener Form mitzuteilen. Das System muss dabei die Wahrung der Anonymität der Whistleblower gewährleisten. Unternehmen müssen den Whistleblowern innerhalb von sieben Tagen den Eingang der Meldung bestätigen. Innerhalb von drei Monaten seit Bestätigung des Eingangs der Meldung müssen die Whistleblower über die eingeleiteten Folgemassnahmen zu ihrer Meldung informiert werden. Zugriff auf die Meldungen dürfen nur speziell autorisierte Personen haben.
  • Keine Kaskadenordnung: Whistleblower müssen sich nicht zwingend zuerst an die vorgesehene interne Stelle im Unternehmen wenden. Es steht Whistleblowern grundsätzlich frei, direkt eine Meldung an die zuständigen Behörden oder gegebenenfalls an die Medien zu machen. Dies setzt aber voraus, dass eine unmittelbare oder offenkundige Gefahr für das öffentliche Interesse droht oder befürchtet werden muss, dass eine Meldung im Unternehmen zu Retorsionsmassnahmen führen könnte oder wirkungslos bliebe.
  • Schutz vor Vergeltungsmassnahmen: Whistleblower müssen vor Repressalien wie Diskriminierung, Kündigung, Nichtbeförderung, Versetzung oder nachteiligen Leistungsbeurteilungen geschützt werden. Um diesen Schutz zu gewährleisten, führt die Richtlinie eine prozessuale Beweislastumkehr zulasten der Arbeitgeber ein. Beispielsweise müssen Arbeitgeber im Falle einer Kündigung beweisen, dass diese nicht im Zusammenhang mit dem Whistleblowing erfolgte.
  • Pflicht zur Einführung von Sanktionen für Arbeitgeber: Die EU-Mitgliedstaaten sind verpflichtet, «angemessene und abschreckende Sanktionen» unter anderem für den Fall einzuführen, dass Arbeitgeber Meldungen behindern oder zu behindern versuchen oder gegen die Pflicht verstossen, die Vertraulichkeit der Identität der Whistleblower zu wahren.

 

Praxishinweise für Schweizer Unternehmen

Die Whistleblower-Richtlinie ist in der Schweiz nicht direkt anwendbar, da sie kein EU-Mitgliedstaat ist. Der letzte Vorschlag des Bundesrats für ein nationales Whistleblowing-Gesetz im Jahr 2020 wurde zum zweiten Mal – und damit vorläufig endgültig – vom Nationalrat verworfen. Auf Grund der engen wirtschaftlichen Verflechtung mit der EU sollten jedoch auch Schweizer Unternehmen die weitere Entwicklung im Auge behalten und insbesondere die folgenden Massnahmen treffen:

  • Durchführung einer internen Abklärung bezüglich Unterstellung unter die Whistleblower-Richtlinie;
  • Überarbeitung der (internen) Prozesse für den Umgang mit einschlägigen Meldungen unter Berücksichtigung der anwendbaren Vorschriften;
  • Gegebenenfalls Aufbau bzw. Überprüfung eines Systems für die Meldung von Compliance-Verstössen;
  • Interne Information der Mitarbeitenden zu Regeln und Prozessen im Umgang mit möglichen Compliance-Verstössen und zu den verfügbaren Meldekanälen Auf Grund der engen Verflechtung mit der EU und/oder auf Grund zunehmend strengerer interner Compliance Vorschriften ist weiter davon auszugehen, dass in Zukunft - trotz fehlender gesetzlicher Regelung - auch vermehrt Schweizer Unternehmen Systeme für die Meldung von Compliance-Verstössen einführen. So hat auch Grant Thornton Schweiz/Liechtenstein bereits ein internes Whistleblowing-System für Meldungen von seinen Mitarbeitenden und externen Personen implementiert, welches unter diesem Link abrufbar ist.

 

Unterstützung durch Grant Thornton

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